Regelungsbedarf im Bereich gleichberechtigter Teilhabe

Welchen Regelungsbedarf sehen Sie mit Blick auf die Verwirklichung gleichberechtigter Teilhabe in der Kinder- und Jugendhilfe?
Falls Sie einen gesetzgeberischen Bedarf sehen: Welche Aspekte einer gleichberechtigten Teilhabe sollte der Gesetzgeber besonders berücksichtigen?

Kommentare

Die Gesetze sind ausreichend. Sie müssen flächendeckend umgesetzt werden. Es darf nicht vom Personal abhängen, das an den Bewilligungsstellen sitzt.

Um gleichberechtigte Teilhabe für Kinder und Jugendlich umzusetzen, bedarf es einer Veränderung der Systeme in denen sich Kinder bewegen. Vor allem in dem noch sehr traditionell aufgestellten Schulsystem werden Kinder regelmäßig auffällig. Das führt in vielen Fällen zu vorschnellen Diagnosen, die langfristig für die Entwicklung der Kinder eher negative Folgen haben können (Stigma etc.). Die Budgets der öffentl.Jugendhilfe explodieren und extreme Ressourcen werden für s.g. Schulbegleitungen zur Verfügung gestellt, die idR kaum nachhaltige Wirkung entfalten. Eine Anpassung des §35a hat zu erfolgen, um ein infrastrukturelles Angebot an Schulen zu ermöglichen, dass derart finanziell aufgestellt ist, dass sich das Schule verändern kann. Schule muss sich verändern, nicht die Kinder. Die finanz. Beteiligung aller betroffenen Institutionen ist notwendig und nicht nur die öffentl. JH als Ausfallbürge, damit alle für eine effektive, bedarfsgerechte & verantwortungsvolle Steuerung eintreten.

Es fehlt ein niederschwellig allerorts erreichbarer Lotse /Case-Manager, der unabhängig von Kostenträgern über die Ansprüche gegenüber allen Sozialleistungsträgern (das ganze SGB) berät und, sehr wichtig ! bei der Beantragung aktiv mithilft.
Die EUTB, so ist meine Erfahrung, berät zwar, hilft aber nicht beim Beantragen (Schreiben und Korrektur von Anträgen/Begründungen), mit der Begründung, dass sie das nicht dürfe.

Zusätzlich zu den Veränderungen im SGB VIII müsste auch das Schulgesetz und das Schulsystem verändert werden. Alle Kinder würden von kleineren Klassen und mehr Fachkräften profitieren. Es wird nichts nützen nur die Kinder- Jugendhilfe inklusiv zu gestalten, wenn die Systeme/Orte in denen die Kinder und Jugendlichen sich bewegen, nicht ebenfalls inklusiv gestaltet werden.

Alle Kinder und Jugendlichen müssen die Möglichkeit erhalten an allen Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe teilzunehmen. Grundsätzlich ist das möglich aber vor Ort scheitert es oft genug an der Durchsetzbarkeit (z.B. wenn ein Kind mit Behinderung die örtliche Schule besuchen will...) Es wird eher die Erfahrung gemacht, dass Kinder, die Probleme haben, an andere Schulen verwiesen werden. So wurden z.B. im Saarland gerade zwei neue Förderschulen eröffnet mit dem Schwerpunkt Soziales.
Ich sehe auch, dass das System Schule sich modernisieren muss, um Schülern, die in dem derzeitigen eher autoriären System nicht klarkommen, gerecht zu werden. Solange es Orte gibt, wohin man die Kinder weiterreichen kann, wird der Ruf danach erklingen. Das Selbe gilt auch für Kitas...
Es kann nicht "zweigleisig" gefahren werden bei schlechter Betreuung, weil nirgends genug Personal da ist.

Schnittstellen
Zur Überwindung noch bestehender Schnittstellen kommt der Jugendsozialarbeit ihre umfassende Kooperationserfahrung am Übergang Schule /Beruf zu Gute. Das bereits bestehende Kooperationsgebot in der Jugendsozialarbeit sowie weitere Regelungen (SGB VIII § 81) müssen erweitert und auf stärkere Gegenseitigkeit und Verbindlichkeit angelegt werden; Akteure, Zuständigkeiten und Schnittstellen zwischen den SGBs II, III , IX und XII aber auch zum Gesundheitsbereich und zur Schule sind zu bedenken und Gremien (etwa die AGs nach §78) sind anders zu besetzen. Die Kinder- und Jugendhilfe muss zudem im Rahmen der Jugendsozialarbeit in enger Kooperation mit den Leistungsträgern des SGB II und SGB III die Ansprüche der jungen Menschen auf bedarfsgerechte, inklusive Förderung (gemeinsame Finanzierungsnorm) beim Übergang in die Arbeitswelt sowie während der Ausbildung gewährleisten, hierzu ist aus Sicht der Katholischen Jugendsozialarbeit die verbindliche Zusammenarbeit zu gewährleisten.

Bei Kindern und Jugendlichen mit Behinderung dürfte der erzieherische Bedarf zunächst deutlich erhöht sein, da bei ihnen gegebene multiplexe Bedürfnisse einer entsprechenden Förderung zugeführt werden müssen. Da diese Bedarfslagen bislang nicht systematisch im Anwendungsbereich der Hilfen der Kinder- und Jugendhilfe präsent waren, bestehen umfangreiche Nachschulungsnotwendigkeiten, damit die tatsächlichen Bedarfe fachlich erkannt und in geeignete Leistungsangebote überführt werden können.

Aus Sicht des Jugendamtes kann eine inklusive Lösung nur Risiken schaffen. Fehlende Angebote, fehlende Expertise und zu wenig Austausch mit den Experten sorgen dafür, dass Hilfen gem. § 35a SGB VIII aktuell sehr schlecht gesteuert werden und zum Teil willkürlich bewilligt oder abgelehnt werden. Das Jugendamt sollte wieder auf Beratung, pädagogische Defizite und Wächteramt fokussiert werden. Hilfen für beeinträchtige Menschen sollten durch die Eingliederhungshilfe bewilligt und gesteuert werden. Zusätzlich sollte jedoch die Vernetzung gestärkt werden, zwischen den Behörden, denn zum Beispiel wäre ein Erziehungsbeistand häufig auch für beeinträchtigte Kinder/Jugendliche hilfreich und sehr gewinnbringend. Dies gibt es aktuell zu wenig, weil der ASD selten zwei Hilfen bewilligt bzw. die Eingliederungshilfe kaum passende Angebote bereit hält, auch zu pädagogischen Gebieten.

Inklusion ist ein Menschenrecht. Sie soll für alle Kinder und Jugendlichen Partizipation, Rechte, Wahlmöglichkeiten und Teilhabe sicherstellen bzw. verbessern! An diesem Maßstab ist Inklusion im Rahmen der Jugendhilfe zu messen. Inklusion ist kein Sparprogramm und darf nicht dazu benutzt werden, spezifische (z. B. sonderpädagogische) Angebote abzuwickeln bzw. besondere Unterstützung oder Schutz aufzukündigen!
Die Katholische Jugendsozialarbeit geht von einem breiten Inklusionsverständnis aus, das neben den jungen Menschen mit Behinderung auch alle weiteren jungen Menschen einbezieht, deren Teilhabe aus unterschiedlichen Gründen gefährdet ist und die von Exklusion bedroht sind. Um die Exklusion von Kindern und Jugendlichen zu verhindern und mehr Inklusion zu ermöglichen, kommt dem § 13 SGB VIII Jugendsozialarbeit eine Schlüsselfunktion zu, weil er sozialpädagogische Hilfen zum Ausgleich von individuellen Beeinträchtigungen und sozialen Benachteiligungen junger Menschen umfasst.

Aus Sicht der Katholischen Jugendsozialarbeit besteht weiterer Regelungs- und Kooperationsbedarf für die Ausbildung und Teilhabe am Arbeitsleben für junge Erwachsene mit einer (schweren) Behinderung, die Anspruch auf Teilhabeleistungen im Rahmen des BTHG (SGB IX) haben, da die Leistungen der Jugendsozialarbeit nicht einfach mit 18 Jahren enden (dürfen) sondern junge Menschen bis in die Selbstständigkeit und u.U. bis zum 27. Lebensjahr zu begleiten sind. Die Ausrichtung der Förderdauer an den Bedarfen des*der Einzelnen muss darüber hinaus für alle jungen Menschen gelten.

Die umfassendste Lösung die Teilhabe gleichberechtigt für behinderte und nicht behinderte Kinder- und Jugendliche herzustellen wäre durch eine gesetzgeberische Zusammenführung der Leistungsbereiche SGB VIII, SGB IX und SGB XII zu erreichen. Diese weitreichendste aller Reformideen würde die unabhängig voneinander aufgestellten und entwickelten Hilfesysteme Jugendhilfe und Eingliederungshilfe/Behindertenhilfe dazu bringen, ihre Hilfen nach einheitlicher gesetzlicher Normierung auszurichten. Sie würden durch eine öff. Trägerebene gesteuert u. finanziert.
Alternativ wäre auf Landesebene eine Struktur zu schaffen, in der die Jugendhilfe- und Eingliederungs-/Behindertenhilfe von einer öffentlichen Trägerebene - m.E. die kommunale Ebene - gesteuert und unter einer gemeinsamen Führung organisiert wird. Dies stärkt die Zusammenarbeit der beiden Leistungsbereiche. Denn Hilfesysteme mit unterschiedl. Trägerebene und Führung stoßen an Grenzen der Kooperation. Voraussetzung: Bundesfinanzierung